Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde Homosexualität in Österreich-Ungarns Militär sowohl von einer medialen Öffentlichkeit als auch in militärinternen Dokumenten thematisiert. Skandale wie die Spionageaffäre des homosexuellen Obersts Alfred Redl dominierten die zeitgenössische Berichterstattung und galten bisher als Paradebeispiele für geschichtswissenschaftliche Arbeiten, die hierzulande gleichgeschlechtliche Sexualität im Militär thematisierten.
Das Dissertationsprojekt versucht, diese thematische Verengung zu erweitern. Es beschäftigt sich einerseits mit der öffentlichen Wahrnehmung von Homosexualität im Militär und andererseits mit Maßnahmen sowie strafrechtlichen Sanktionen der österreichisch-ungarischen Streitkräfte gegen gleichgeschlechtliche Sexualkontakte innerhalb ihrer Reihen. Ein zentrales Anliegen des Projektes ist es, anhand diskursanalytischer Ansätze rechtliche, medizinischpsychiatrische und öffentliche Diskurse zu analysieren, die innerhalb von Militärgerichtsverfahren aufgegriffen worden sind.
Durch den Einsatz bisher unbearbeiteter Archivalien, zu deren Bandbreite vor allem Militärgerichtsakten oder militärinternes Schriftgut gehören, wird eine vergleichende Untersuchung verschiedenster Dienstränge des Mannschafts- und Offizierstandes möglich. Häufig kam es zum Missbrauch militärischer Autorität, der sich in sexuellen Übergriffen von Vorgesetzten an ihnen untergebenen Soldaten äußerte. Gleichzeitig finden sich in den Akten zahlreiche Fälle, bei denen sich Mannschaftspersonen für sexuelle Handlungen bezahlen ließen. Oftmals verschwimmen in beiden Punkten die Grenzen zwischen konsensualem und erzwungenem Geschlechtsverkehr. Das Dissertationsprojekt nimmt sich unter anderem diesen komplexen Fragestellungen an und leistet dadurch einen Beitrag zur Verbindung der Neuen Militärgeschichte, der Frauen- und Geschlechtergeschichte, der Sexualitäts- und der Rechtsgeschichte.