Verwandtenehen und katholische Dispenspraxis im 19. Jahrhundert

Mag. Dr. Margareth Lanzinger

Elise-Richter-Habilitations-Projekt

FWF-Projektnummer: V92-G08

Laufzeit 2008 bis 2011

Zwischen dem ausgehenden 18. und dem beginnenden 20. Jahrhundert, in einer Zeit, die von umfassenden gesellschaftlichen Umbrüchen gekennzeichnet war, hatten Heiratsprojekte zwischen nahe Verwandten und Verschwägerten Konjunktur, und zwar quer durch alle sozialen Milieus. Solche Verbindungen waren jedoch verboten, und die Brautpaare mussten um eine Befreiung von diesem Ehehindernis, um eine Dispens ansuchen.

Ansuchen dieser Art aus den Diözesen Brixen, Chur, Salzburg und Trient stellen die Quellengrundlage des Projekts dar, und zwar die so genannten päpstlichen Dispensen, die über Rom gelaufen sind. Auch administratives Material wird in die Untersuchung einbezogen, Aktenbestände der Kreisämter, der k. k. Agentie in Rom etc. Die Quellen sind nicht zuletzt deshalb sehr ertragreich, weil sich das verwaltungstechnische Procedere der katholischen Dispenspraxis vergleichsweise aufwändig gestaltete und phasenweise auf Diözesanebene wie von päpstlicher Seite strenge Vorgaben die Dispenspolitik bestimmten. Konfessionelle und regionale Kontexte spielten also eine wesentliche Rolle in Hinblick auf die Möglichkeit, eine Schwägerin, einen Cousin, eine Stieftochter oder einen Onkel heiraten zu dürfen. Besondere Spannungsmomente entstanden in der Habsburgermonarchie nicht zuletzt aus den divergierenden Rechtslagen: dem strengeren kanonischen Recht und dem liberaleren Zivilrecht, was ab dem Josephinischen Ehepatent 1783 virulent wurde.

Den Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen Veränderungen und der Präsenz und Bedeutung von Verwandtschaft und Verwandtenehen gilt die Kernfrage des Projekts. Der Schwerpunkt liegt auf drei Ebenen: den lebensweltlichen Bezügen solcher Heiratsvorhaben und dem damit verbundenen Argumentationsrepertoire der involvierten Personen, den verwaltungstechnischen Abläufen zwischen Zurückweisen und Vermitteln sowie der Bricolage von theologischen, juristischen, medizinischen, anthropologischen, naturwissenschaftlichen Diskursen rund um das Thema der Verwandtenehen und möglichen Folgen sowie um Blut, Fleisch und Moral.