Die geplante Studie ist in zwei Teile gegliedert:
1. Entstehungsgeschichte, Aktivitäten, Netzwerke und Kooperationen freiwilliger Kinderschutzorganisationen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1914 unter besonderer Berücksichtigung der Genderdimension.
2. Die praktische Arbeit der Kinderschutzorganisationen und ihr Umgang mit dem Phänomen familärer Gewalt gegen Kinder und ihren Maßnahmen vor dem Hintergrund der eigenen ideologischen Ausrichtung und in Auseinandersetzung mit anderen öffentlichen und privaten Organisationen.
Im ersten Teil der Forschungsarbeit werde ich mich insbesondere mit den zwei größten Kinderschutzorganisationen Wiens, der überkonfessionell organisierten „Kinderschutz- und Rettungsgesellschaft in Wien“ (1899) und dem katholischen Verein „Kinderschutzstationen“ (1901) sowie den zwei größten landesweiten Organisationen, nämlich der „Zentralstelle für Kinderschutz und Jugendfürsorge“ (1908) und den „Reichsverein für Kinderschutz in den österreichischen Königreichen und Ländern“ (1909) auseinandersetzen. Mein besonderes Augenmerk wird dabei der Analyse politischer, religiöser und Geschlechterdifferenzen und den daraus resultierenden Machtverhältnissen und Arbeitsstrategien gelten. Dabei sollen sowohl einzelne Organisationen in ihrer jeweiligen Tätigkeit, ihrem Selbstbild und ihrer ideologischen und praktischen Arbeit untersucht werden als auch die Dynamiken, Vernetzungen und Konkurrenzen zwischen den freiwilligen Vereinen sowie das Verhältnis zwischen freiwilligen und öffentlichen Einrichtungen.
Der zweite Schwerpunkt wird die praktische Tätigkeit der Vereine sein. Insbesondere wird dabei die Wahrnehmung von und der Umgang mit familiärer Gewalt an Kindern, sei es im individuellen Fall als auch als gesellschaftliches Phänomen in einer vergleichenden Darstellung am Beispiel der in den Tätigkeits- und Jahresberichten geschilderten „Fallbeispiele“ thematisiert werden.
In einer geplanten Fortsetzung des Projekts für weitere drei Jahre soll die Tätigkeit der Kinderschutzorganisationen in einen größeren gesellschaftlichen Kontext eingebettet und daraufhin untersucht werden, auf welche Weise diese Einfluss auf die Entwicklung einer Demokratisierung der Gesellschaft („civil society“) und auf die Entstehung des Wohlfahrtsstaates im Bereich öffentlicher Einrichtungen genommen haben. Insbesondere soll dabei die Rolle der Frauen/bewegungen in diesem Prozess herausgearbeitet werden.