Präsenzveranstaltung
Leonhard Jungwirth (Wien), Eine „Nazikirche“? Zu Genese und Konsequenz eines österreich-evangelischen Selbst- und Fremdbilds
Moderation: Astrid Schweighofer
Abstract:
Für das Österreich der 1930er Jahre ist eine Konstellation an politischen Realitäten, soziologischen Phänomenen und kirchenpolitischen wie theologischen Deutungsmustern zu identifizieren, die in der evangelischen Minderheitskirche zu einer verhältnismäßig starken Herausbildung und Verstärkung nationalsozialistischer Affinitäten führten. Nicht nur frömmigkeits- und traditionsbezogene Unterschiede zwischen „altprotestantischen“ und „neuprotestantischen“ Milieus wurden durch die Mobilisierungs- und Integrationserfolge der (illegalen) NSDAP nivelliert, sondern auch die theologischen Grenzsetzungen zwischen den österreichischen Kirchenkampfparteien transzendiert. In den Jahren 1938/39 wurden sodann kirchenpolitische Fakten und Bilder geschaffen, die das Image einer evangelischen „Nazikirche“ festigten und bis weit in die Nachkriegszeit hinein prägten. Dennoch lässt sich spätestens ab 1940 eine aus unterschiedlichen Entwicklungen resultierende und – in kirchennahen Kreisen – vor dem politisch-theologischen Deutungshorizont der Luther’schen Zwei-Reiche-Lehre vollzogene kirchenpolitische Wende beobachten, die mit Ernüchterungen der Pfarrerschaft korrespondierte. Zu einer klaren Abkehr vom nationalsozialistischen Regime oder gar zu Widerstand im engeren Sinn führte diese Wende nicht. Sie schuf jedoch wichtige Voraussetzungen für eine nach 1945 entschieden forcierte Entideologisierung und Entpolitisierung evangelischer Kirchenpolitik und Theologie.
Zum Vortragenden:
Mag. Dr. Leonhard Jungwirth, 1989 geboren in Linz. Studium der Evangelischen Fachtheologie in Wien und Glasgow. 2016–2019: DOC-Stipendiat der ÖAW am Institut für Kirchengeschichte der ETF der Universität Wien: Dissertation zur evangelischen Politikgeschichte zwischen 1933 und 1968; seit 2020: Post-Doc-Assistent am Institut für Kirchengeschichte der ETF der Universität Wien; Vorstandsmitglied der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich.
Rückfragen: martina.fuchs@univie.ac.at